Für Vater und Grossvater gehörte es zum Alltag, Mutter und Grossmutter waren nie dabei. Auch heute ist es noch bei vielen verpönt, manche getrauen sich nicht, andere wollen es zuhause billiger. Die Rede ist vom «Einkehren». Es gibt sie nämlich auch heute noch: die Quartierbeiz. Ein Plädoyer für das öffentliche Leben für alle!
Eine Beiz ist ein Trinklokal, in dem es auch etwas zu essen gibt, vor allem wenn der Wirt oder die Wirtin gut und gerne kocht. Das Angebot richtet sich nach den Präferenzen der Gäste und nach den Spezialitäten des Hauses, die manchmal jahrzehntelang Gelegenheit hatten, berühmt zu werden. Der Wirt oder die Wirtsfamilie wohnt in einer Wohnung im gleichen Gebäude und ist eigentlich immer da, ausser in den Ferien. Ein guter Wirt hat etwas zu Beissen parat für die Durstigen, falls sie es vergessen sollten.
In Glarus (gemeint ist hier nicht Glarus Mitte, sondern die Stadt Glarus) gab es in den 80er Jahren noch über 50 „Spünten“. Wie viele es jetzt sind, kann ich nicht sagen, ich würde aber meinen dass inzwischen der grösste Teil verschwunden ist. Gebäude mit Wirtshausschild wurden umgenutzt, bei vielen hängt das dekorative Schild noch über dem Hauseingang. «Auswärts» gegessen wurde damals eher am Sonntag und an Feiertagen, aber ein Eingeklemmtes zum Znüni musste für die Arbeiter und Gewerbler schon sein. Die Gewohnheiten und Bedürfnisse haben sich stark gewandelt in den letzten Jahrzehnten.
Manchmal ersteht eine Beiz auf und erblüht in neuem Glanz, sie wird zum Treffpunkt, und plötzlich weiss man nicht mehr, wie es ohne sie war. So geschehen vor rund zwei Jahren in Ennenda, wo ohne viel Brimborium und Werbung, ohne viel instagram und Google, ohne Zeitungsinserate, ohne billig gedruckte Flyer in schreienden Farben das Restaurant Central einfach wieder aufgemacht wurde, als ob es nie geschlossen gewesen wäre. Die Gäste stellten sich ein. Viele kannten den Wirt noch von früher, als er in anderen Lokalen gewirtet und gekocht hatte, sie erinnerten sich an die Pouletflügeli und die Kegelbahn, an seine soziale Ader und Grosszügigkeit.
Kultur und Nachbarschaft
Wenn es in den Gassen nach frisch Gebratenem duftet, gelüstet es die einen, sie bekommen Appetit und spüren plötzlich die Leere im Magen. Als ich ein Schulkind war, roch es in Mollis auf meinem ganzen Heimweg aus jedem Küchenfenster nach Mittagessen, an den Läden vorbei ausserdem nach Bäckerei, frischer Milch, Kaffee, und je nach Wind nach Zigerriibi. Sauerkraut und Speck, panierte Schnitzel, Käsehörnli, Voressen, Tomatenspaghetti … was gibt es wohl daheim? Mutter kochte währschaft für 6 bis 7 Personen, eingekauft wurde täglich im Dorf, alles war im Umkreis von 150 Metern günstig und gut erhältlich. Abends wurden die Resten gewärmt, dazu gab es Brot und Käse, manchmal eine Suppe. Es hat immer gut geschmeckt.
Die anderen aber fühlen sich durch Essensdüfte gestört und versuchen, der Kocherei mittels gesetzlich zu verordnender Massnahmen Einhalt zu gebieten. Sie schlagen vor, es seien andere Gerichte zuzubereiten, welche weniger stark riechen würden. Dann findet eine Verhandlung statt, es wird in der Zeitung darüber berichtet, das Urteil lässt auf sich warten, nicht aber die Sorge darum, ob und wie man danach wird weitermachen können. In unserer Öffentlichkeit sind auch lautes Gelächter oder Singen verpönt, Streiten und Weinen sowieso. Es ist eine stille, geruchlose Welt geworden. Die stärkste Währung ist das Güllen der Wiesen, das Geläute der Kuh- und Kirchenglocken und die Bässe der Lautsprecher beim Schulhausplatz, wer alt genug ist fährt damit durch die Strassen. Es dünkt einen manchmal, die Leute sitzen alle alleine zuhause hinter verschlossenen Türen vor dem Fernseher, verpflegen sich mit etwas Schnellem aus der Mikrowelle und tippen dabei in ihre Handys. Teilen Freud‘ und Leid per Whatsapp und Facebook. Kümmern sich früh wenn die Nacht fällt um ihre Schlafstörungen, damit am nächsten Morgen die neue Runde zeitig beginnt.
In einer Gasse brennen an fünf Abenden der Woche zwei Laternen neben dem Eingang, über welchem seit Anfang November drei Fahnen wehen. In der Stube gibt es drei rechteckige Tische und einen grossen Stammtisch, ein Buffet, ein Aquarium. An den Fenstern hängen Vorhänge, alles ist recht altmodisch und zweckmässig hier, heimelig. Am Stammtisch, so erklärte man mir, hat es Platz für die Leute, welche alleine einkehren und/oder offen sind für ein Gespräch, wenn sich eines ergibt. Geraucht wird nur, wenn grad niemand am Essen ist, sonst gehen die RaucherInnen vor die Türe. An der Fasnacht, an der Chilbi und am Silvester ist zu. Freitags wird gejasst.
Im November war ich an einer Metzgete, mit Ländlermusik natürlich. Es hat mir gut geschmeckt, und darüber habe ich ziemlich gestaunt, als Flexitarierin mit dauerndem schlechtem Gewissen.
Leo meint: dies ist ein Ort, an dem alle willkommen sind. Niemand soll alleine zuhause hocken. Hier darf man so sein wie man halt ist, mal laut, mal leise, mal hungrig und mal durstig. Die schönsten mitmenschlichen Szenen des vergangenen Jahres habe ich hier erlebt, aber ich werde darüber schweigen. Weil man nicht erzählen kann wie es ist, so einen besonderen Ort in der Nähe zu haben, wo man einfach hingehen kann um mit Menschen zusammen zu sitzen, mal mit Fremden, mal mit Nachbarn. Das muss man schon selber erlebt haben.
Quelle: Eva Gallati im Kulturblog der Glarner Agenda
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